(Tangodanza 4/2011)
Ich möchte es gleich vorweg sagen: „Richtiger“ Tango, egal ob alt, neu oder ganz neu ist das hier nicht. Einfach nur den zu spielen wäre dem „Flutterband Trio“ mit Hans-Christian Jaenicke/Violine, Cyrille Guignard/Klavier und Bernd von Ostrowski/Kontrabass wahrscheinlich auch zu langweilig. Das wagemutige Ensemble ist vielmehr an Experiment, Verfremdung und Improvisation interessiert. Was nicht bedeutet, dass hier nur improvisiert wird. Die Stücke wirken vielmehr wie Kombinationen aus arrangierten Teilen, vorab improvisiertem Material und freiem Spiel.
Sieben er insgesamt zehn Tracks verbinden Passagen, Melodien, Strukturen aus den Werken von Johann Sebastian Bach mit frei entwickeltem Tango. Wobei „frei“ nun auch wieder nicht ganz frei meint. Weil es nach Tango klingen soll, kommt auch das „Flutterband Trio“ nicht ohne die typischen Phrasierungen, Melodien und die rhythmischen Modelle vorzugsweise des neuen Tango herum. Nur der formale Kontext ist eben ganz anders. Der wird oft von Bachschen Kadenzen bestimmt, basiert auf der Wiederholung von zweitaktigen (in Introduktion) bzw. viertaktigen (in Valse) Basiseinheiten oder ist scheinbar frei entwickelt.
Originell ist diese Musik mit ihrer Mischung aus freier Jazzspielweise, barocken Zitaten und Tango-Anklängen auf jeden Fall, aber auch ganz schön ungewohnt. Manchmal erinnert sie an getragene Kammermusik, dann wieder an Minimal Music und gelegentlich hört sich das „Flutterband Trio“ an, wie eine Jazz-Combo. Stücke und Improvisationen klingen frisch, spontan und verraten ein enges Zusammenspiel. Und auch im Tango kennen sich zumindest Jaenicke und Guignard ganz gut aus.
Hinter allem waltet zusätzlich eine gute Portion Humor. Der einzige originale Tango etwa, der verwendet wurde - im Stück Milonga - ist Gardels Mi Buenos Aires Querido. Ausgerechnet das aber kommt als muntere Milonga daher und hebt mit den heren Klängen aus BWV 1001 (Bach-Werke-Verzeichnis), g-moll, an - über dem Milonga-Rhythmus. Etwas krass, das muss ich zugeben, aber es klingt klasse. Auch das als Valse ausgeflaggte Stück ist kein Tango-Walzer, sondern eine schnelle, verfremdete Siziliana im Sechs-Achtel-Takt, garantiert nicht tanzbar.
Diese CD ist mit Abstand die unkonventionellste Tango-Produktion, die ich in den vergangenen zehn Jahren besprochen habe. Von daher fällt es mir schwer zu sagen, wem das noch gefallen könnte. Die spontane, immer etwas unberechenbare Spielweise macht die Musik eher ungeeignet für Milongas. Zuhörer könnte sie am ehesten wohl im Kreis der Jazz-Fans finden. Gefallen könnte sie aber auch Hörern, die ihren Ohren gelegentlich gern etwas Schräges zumuten und denen Humor in der Musik gefällt.
Tanzbarkeit: -
Klangqualität: +++++
Titelauswahl/ Interpretation: +++++
Editorischer Wert: +++++
Vokalanteil: -
Spieldauer: 58:55 Min.
(Jürgen Bieler, Musikkritiker und Journalist)